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Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung, betont, dass die Diskussion nicht ideologisiert werden sollte


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Blick in Richtung Bode-Museum auf der Museumsinsel in Berlin. „Preußen ist ohnehin allgegenwärtig“, sagt Hermann Parzinger. Foto: BROKER/Ronny Behnert/Imago Images

Blick in Richtung Bode-Museum auf der Museumsinsel in Berlin. „Preußen ist ohnehin allgegenwärtig“, sagt Hermann Parzinger. Foto: BROKER/Ronny Behnert/Imago Images © imago

Hermann Parzinger über die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihre mögliche Namensänderung, die Vernichtung ukrainischer Kultur und zerbrochene Beziehungen zu Russland

Herr Parzinger, wenn Sie als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) international unterwegs sind, welche Reaktionen gibt es, wenn Sie die SPK erwähnen? Gibt es Erklärungsbedarf?

International ist zwar bekannt, dass es einen großen Verbund in Berlin mit dem Namen SPK gibt, aber man muss schon erklären, welche Einrichtungen und Sammlungen dazugehören. Wir werden auch häufig verwechselt mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Zum anderen ist die Bezeichnung „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ nicht so einfach in andere Sprachen zu übersetzen, „Prussian Cultural Heritage Foundation“, was würden Sie darunter verstehen? Über den Namen für die größte deutsche, gesamtstaatliche, von Bund und Ländern getragene Kulturstiftung nachzudenken, halte ich deshalb für legitim. Die Debatte darf aber nicht ideologisiert werden.

Die Debatte ist schon im Gange. Eine Seite befürchtet, dass Preußen „gecancelt“ werden soll – die andere befürwortet einen modernen Namen, und da scheint Preußen nicht unbedingt ins Bild zu passen. Befürchten Sie, dass mit einer möglichen Streichung ein Teil der DNA der Stiftung verloren geht oder zumindest als wichtiger Bestandteil nicht mehr abgebildet wird?

Es geht mir überhaupt nicht darum, dass man Preußen einfach cancelt oder streicht. Einen neuen Namen wird es ohnehin nur dann geben, wenn der Bund und die 16 Länder es so beschließen. Bis dahin wird es noch viel Debatte geben. Ich bin der Meinung, ein Bezug zu Preußen sollte auch mit einem neuen Namen, wenn es ihn denn geben sollte, deutlich gemacht werden, da gibt es durchaus Möglichkeiten. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften nennt sich beispielsweise im Untertitel „vormals Preußische Akademie der Wissenschaften“. Der Staat Preußen hat die Einrichtungen begründet, die dann nach dem Krieg unter dem Dach der Stiftung zusammengefasst wurden. Aber diese haben sich seither enorm weiterentwickelt. Wenn man die Museumsinsel, unsere Museen im Humboldt Forum oder die Staatsbibliothek Unter den Linden betrachtet, dann ist Preußen ohnehin allgegenwärtig. Dennoch lohnt es sich, über den Namen der Stiftung noch einmal nachzudenken, zu schauen, ob es einen gibt, der das, was wir heute sind und in Zukunft sein wollen, vielleicht besser abbildet.

Hätten Sie eine Idee? „Stiftung Kulturbesitz“ wäre wahrscheinlich zu wenig?

Hermann Parzinger ist Prähistoriker und seit 2008 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Er leitet Forschungsprojekte und publiziert v.a. zu wissenschaftlichen Themen.

Hermann Parzinger ist Prähistoriker und seit 2008 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Er leitet Forschungsprojekte und publiziert v.a. zu wissenschaftlichen Themen. © imago

Das wäre unbefriedigend. Ein neuer Name darf nicht beliebig oder austauschbar sein. Er muss unser Selbstverständnis schon sehr klar beschreiben. Aber wie auch immer, eine Umbenennung wäre die wahrscheinlich schwierigste Aufgabe der Reform, aber sie ist gewiss nicht die wichtigste.

Ziel dieser Reform ist es, die SPK als Marke besser zu positionieren; sie soll stärker als eine der größten Kulturinstitutionen weltweit wahrgenommen werden. Wie soll das geschehen, welche Visionen haben Sie?

Zunächst ist die Autonomie der einzelnen Häuser wichtig, das sind ja die einzelnen Marken. Ob das der Hamburger Bahnhof ist oder das Neue Museum oder die Staatsbibliothek – diese Institutionen sollen durch mehr Selbststeuerungsmöglichkeiten und ein größeres Budget erfolgreicher arbeiten können. Wir verstehen uns nicht mehr als zentral organisierte Institution, sondern als Verbund von eigenständig handelnden Einrichtungen. Dieser Verbund soll in der Öffentlichkeit stärker agieren können, etwa bei Wissenschaftsförderern oder in der auswärtigen Kulturpolitik.

In der auswärtigen Kulturpolitik hat sich im vergangenen Jahr viel verändert. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine liegen die deutsch-russischen Beziehungen auf Eis – und damit auch die Annäherungen hinsichtlich der „Beutekunst“, also den im Zweiten Weltkrieg aus Deutschland nach Russland verbrachten Kulturgütern. Es gibt ein Foto von Ihnen mit Angela Merkel und Wladimir Putin, das 2013 zur Eröffnung der Ausstellung „Bronzezeit – Europa ohne Grenzen“ aufgenommen wurde. Damals wurden 800 „Beutekunst“-Objekte in St. Petersburg präsentiert. Es war ein Durchbruch in den deutsch-russischen Beziehungen. Was waren damals Ihre Hoffnungen?

Es kommt mir vor wie ein anderes Jahrhundert. Es war noch vor dem Einfall in den Donbass, noch vor der Annexion der Krim. Niemand hätte sich das vorstellen können, was wir heute erleben. Ich war seit Mitte der 1990er Jahre als Archäologe und Wissenschaftler in Russland tätig und konnte dann meine Kontakte für die Zusammenarbeit der Museen, Stichwort „Beutekunst“, nutzen. Wir haben mit vielen russischen Museen eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet, darunter waren auch die Eremitage in St. Petersburg, das Puschkin-Museum und das Staatliche Historische Museum in Moskau. Mit russischen Kolleginnen und Kollegen haben wir gemeinsam zu früheren Berliner Beständen geforscht und Objekte restauriert. Es gab eine gemeinsame Basis, obwohl Russland die „Beutekunst“-Objekte als Kompensation für deutsche Kriegszerstörungen zu russischem Eigentum erklärt hat, was internationalem Völkerrecht widerspricht. Trotzdem hat sich damals eine sehr gute Kooperation entwickelt. In der derzeitigen Situation kann man sich aber keine Zusammenarbeit mit Russland vorstellen. Das ist sehr bitter.

Was geschieht nun mit der „Beutekunst“ in Russland – und was könnte perspektivisch möglich sein?

Wir sprechen dabei von etwa einer Million Objekte, die sich noch in Russland befinden, davon etwa 200 000 von besonderem musealem Wert. Wir haben mit der Kulturstiftung der Länder daran gearbeitet, nachzuvollziehen, welche Objekte aus welchen Museen abtransportiert wurden, wo sie hingekommen sind, und ob es diese Schätze überhaupt noch gibt. Wenn man damals mit etwas Fantasie weitergedacht hätte, wäre es vielleicht eine Möglichkeit gewesen, dass diese Objekte in Russland bleiben, aber einige davon regelmäßig reisen und zum Beispiel in einem gewissen Rhythmus auch immer wieder in Berlin gezeigt werden könnten. Man muss sich klarmachen: Nazi-Deutschland hat die damals besetzten Teile Russlands ebenso wie Belarus und die Ukraine im Zweiten Weltkrieg regelrecht verwüstet, Bibliotheken und Museen wurden geplündert und verbrannt. Die westliche Sowjetunion erlitt enorme Verluste an Kulturgütern, und sie hat nur wenig davon zurückbekommen. Deshalb war ich immer der Ansicht, dass wir auch jenseits internationalen Rechts, das wir auf unserer Seite haben, gemeinsam eine produktive Lösung finden sollten. Vor Beginn des Krieges in der Ukraine wäre so manches für die Zukunft denkbar gewesen. Jetzt sind wir weiter davon weg denn je. Wir können nur darauf hoffen, dass Russland wieder als demokratischer Rechtsstaat in die Völkergemeinschaft zurückkehrt, so fern uns dieser Tag heute auch vorkommt.

Welche Projekte mussten Sie wegen des Einmarschs Russlands außerdem noch absagen?

Das nächste Projekt wäre eine Ausstellung zu Donatello mit dem Puschkin-Museum gewesen. Dort befinden sich, kriegsbedingt verlagert, eine ganze Reihe unserer Werke dieses berühmten Bildhauers der Florentiner Frührenaissance. Zum Teil waren sie beschädigt, und es wurde gemeinsam entschieden, wie sie restauriert werden sollten.

Seit Monaten plündern russische Soldaten Kultureinrichtungen in der Ukraine. Im Mai 2022 haben sie 200 wertvolle, skythische Artefakte aus dem Museum für Heimatgeschichte in Melitopol gestohlen. Aus anderen ukrainischen Museen wurden tausende Objekte geraubt; Gemälde, Plastiken, Ikonen. Was denken Sie: Gibt es eine Chance für die Ukraine, diese Schätze wiederzusehen?

Wir haben noch gar keine rechte Vorstellung davon, in welcher Dimension geplündert wurde und wird. In Melitopol ist ein berühmter skythischer Grabfund mit etlichen Goldobjekten verschwunden, die Museumsverantwortlichen sollen angeblich zeitweise verschleppt worden sein. Genaues weiß ich dazu nicht, und mir ist auch nicht klar, ob Russland das Skythengold als eine Art Trophäe behalten will. Bei vielen anderen geplünderten Objekten muss man damit rechnen, dass sie auf den illegalen Kunstmarkt gelangen. Es ist eine ähnliche Situation, wie wir es beim sogenannten Islamischen Staat in Syrien erlebt haben; auch dort sind wertvolle archäologische Objekte aus Raubgrabungen in den illegalen Handel gelangt. Vor einigen Monaten hat der britische Zoll übrigens einen Schatz mit mittelalterlichen Objekten beschlagnahmt, die ganz offensichtlich aus der Ukraine stammen.

Es wird nicht nur geplündert, sondern auch massiv vernichtet und zerstört. Sie haben sich mit der weltweiten Zerstörung von Kulturgut beschäftigt, zuletzt ist dazu 2021 Ihr Buch „Verdammt und vernichtet“ erschienen. Würden Sie von einem „kulturellen Genozid“ in der Ukraine sprechen?

Es ist inzwischen eindeutig, dass Russland in der Ukraine auch gezielt Kulturgüter zerstört. Ich wollte es lange nicht glauben. Zu Anfang des Krieges dachte ich, es wären Kollateralschäden, aber inzwischen ist es ganz klar, dass eine Strategie dahintersteckt. Museen, historische Stadtkerne, Kirchen, Bibliotheken – all das wird mit dem Ziel zerstört, die Kultur und damit die Identität der Ukraine als eigenständige Nation, was Russland ja leugnet, zu vernichten. Es ist eines der verheerendsten Beispiele für einen enormen, unwiederbringlichen Verlust von Kulturgütern in unseren Tagen.

Im Dezember sind 20 Benin-Bronzen an Nigeria restituiert worden. Sie sollen ab 2025 in Benin City in einem neuen Museum, dem „Edo Museum of West African Art“ (Emowaa), ausgestellt werden. Es scheint dort ein nicht unumstrittenes Projekt zu sein. Machen Sie sich eigentlich Sorgen, dass der Bau nicht gelingen könnte, und die Bronzen nie mehr ausgestellt werden?

Mit Sandsäcken gschützt: Denkmal in Odessa.

Mit Sandsäcken gschützt: Denkmal in Odessa. © imago

Da mache ich mir keine Sorgen. Seit 2021 habe ich im Auftrag von Bund und Ländern zusammen mit Andreas Görgen, damals Auswärtiges Amt, und Barbara Plankensteiner, die Direktorin des Museums am Rothenbaum - Kulturen und Künste der Welt in Hamburg, Gespräche geführt. Wir haben inzwischen alle Benin-Bronzen, die sich in unseren Museen befinden, an den Staat Nigeria, genauer gesagt an die National Commission for Museums and Monuments, eine Art Bundeskulturerbebehörde, rückübertragen. Eine Restitution direkt an den König von Benin war von unserer Seite aus nicht möglich, da wir nur an eine staatliche Einrichtung zurückgeben können. Dabei war es auch der Wunsch der Nigerianer, dass Benin-Bronzen auch weiterhin weltweit sichtbar sein sollen. Die SPK hatte mit 514 Objekten nach dem British Museum den größten Bestand von Benin-Bronzen. Ein Drittel davon, 168 Objekte, darunter wirklich herausragende Stücke, werden als Dauerleihgaben in Berlin bleiben, damit wir sie weiterhin zeigen können. Das ist ein tragfähiges Modell, wie man mit einem solchen Unrechtskontext umgehen kann.

Sind demnächst weitere Rückgaben nach Nigeria geplant?

Wir wollen in diesem Jahr weitere Objekte zurückgeben, um zu zeigen, dass die erste Restitution nicht nur ein Symbol, sondern ein wirklicher Neubeginn war. Aber das hängt auch von den Nigerianern ab. Sie haben es im Augenblick nicht eilig, das Museum wird jetzt errichtet, und die Bronzen gehören ihnen ja bereits.

Welche anderen Länder aus ehemaligen Kolonialgebieten dürfen auf Restitutionen hoffen?

Wir haben Objekte nach Namibia zurückgegeben, die Rückgabe der Figur „Ngonnso“ nach Kamerun ist beschlossen. Für das Jahr 2024 planen wir gemeinsam mit unseren Partnern aus Tansania eine Ausstellung zum Maji-Maji-Krieg im Humboldt Forum. Dieser Krieg wütete zeitgleich zum Genozid an den Herero und Nama, es gab geschätzt 200 000 bis 300 000 Tote. Nach der Ausstellung werden die Objekte, die aus einem eindeutigen Unrechtskontext stammen, nach Tansania zurückgehen.

Ist dieser Unrechtskontext denn immer so klar? Manchmal fehlen doch Dokumente, oder es gibt Kaufverträge, die aber nur unter Zwang unterschrieben wurden. Oft kann man auch gar nicht mehr nachvollziehen, ob es nicht irgendwann in der Herkunftsgeschichte ein Unrecht gegeben hat. Und dennoch müsste man die Objekte vom moralischen Standpunkt her zurückgeben.

Deshalb ist Provenienzforschung so wichtig. Wir können nicht einfach Objekte zurückgeben, weil man sagt, in der Kolonialzeit gab es ein generelles Machtungleichgewicht. Natürlich gab es das, aber das bedeutet nicht, dass per se alles, was aus ehemaligen Kolonialgebieten stammt, illegal erworben und geraubt und gestohlen worden ist. Wenn es Hinweise auf Unrechtskontexte gibt, oder wenn spezielle Objekte für die Ursprungsgesellschaften von zentraler Bedeutung für ihre Identität sind, dann sind wir zu Rückgaben bereit. Das ist dann ein individueller Aushandlungsprozess, der Dialog ist dabei enorm wichtig.

Wie arbeiten Sie in diesen Rückgabe-Fragen heute anders als noch vor, sagen wir, zehn Jahren?

Wir arbeiten viel kollaborativer. Es gibt ein Residency-Programm für Fachleute aus den Herkunftsländern in aller Welt. Sie sind eingeladen, mit unseren Kuratorinnen und Kuratoren zusammen an den ethnologischen Sammlungen zu arbeiten. Das ist die zentrale Aufgabe für ethnologische Museen in der Zukunft: dass man zusammen an den Dingen arbeitet, kooperativ Inhalte und Narrative entwickelt, und auch gemeinsam entscheidet, was sollte man zurückgeben, was sollte hier bleiben?

Das Humboldt Forum ist in Deutschland das Zentrum der Kolonial- und Restitutionsdebatten. Sie haben prophezeit, dass es noch viele Debatten an diesem Ort geben wird. Welche ist als nächstes dran?

Am Anfang drehte sich die Diskussion nur um die Architektur, seit fünf, sechs Jahren geht es stark um den kolonialen Kontext der Sammlungen. Mittlerweile sieht man, dass die Haltung der Museen eine andere ist, dass es zu Rückgaben kommt, dass viel mehr gemeinsam mit den Herkunftsgesellschaften entwickelt wird. Die Debatte hat da gutgetan. Auch wenn es nicht immer einfach ist: Es ist besser, im Kreuzfeuer zu stehen, als dass es keine Debatte gibt. Debatten schieben immer auch Veränderungen an. Ich würde mir wünschen, dass diese Veränderungen in den Haltungen auch gesehen werden. Und dass wir ein neues Verhältnis zum globalen Süden entwickeln. Wir sind ein Zuwanderungsland geworden, und gerade deshalb müssen wir das bei uns befindliche kulturelle Erbe aus aller Welt auf andere, auf neue Weise produktiv machen.

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Author: Dana Lee

Last Updated: 1703153761

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